Diese interdisziplinäre Sammlung von Aufsätzen zum Thema »Doppelmoral« möchte einen ersten größeren Beitrag zu diesem Phänomen ethischer Perversion in Antike und Mittelalter leisten. Vertreten sind die Disziplinen Klassische Philologie, Religionswissenschaft, Epigraphik, alte und mittelalterliche Geschichte, antike Philosophie und Rechtsgeschichte, Patristik, Mittellatein und Mediävistik. Im Rahmen dieses Vorhabens wurde Doppelmoral als eine bewusste Spaltung von Moral durch die beteiligten Personen definiert, und es wurden generell zwei verschiedene Möglichkeiten moralischer Doppelbödigkeit festgestellt (Teil I und II in diesem Band), die auch bald Gegenstand theoretischer Reflexion wurden (Teil III). In Teil I sind Beispiele zusammengestellt, in denen (möglicherweise) eine Diskrepanz in der Anwendung einer bestimmten Regel bei einer Gruppe gegenüber einer anderen besteht. Dies geschieht aufgrund der bewußten Entscheidung, daß eine Gruppe in derselben Situation eine andere Behandlung verdient als eine andere. Teil II befaßt sich mit der Diskrepanz, die zwischen den eigentlich befolgten Wertmaßstäben eines Individuums oder einer Gruppe und den nach außen vorgegebenen bestehen kann. Dies kommt einer Maskierung und bewußten (nicht pathologischen!) Spaltung einer Persönlichkeit gleich. Teil III berücksichtigt eine Auswahl von Texten, an denen gezeigt werden kann, daß die Wahrnehmung von Doppelmoral alt ist und schon bald Gegenstand von mehr oder weniger polemischer Kritik wurde.