Utopia ist ein zweiteiliger Dialog. Das erste Buch zeichnet das Bild einer
korrupten Gesellschaft in England und Europa. Scharf wird die zeitgenössische
Eigentumsordnung kritisiert. Die Dialogfigur Thomas Morus appelliert für
eine mehr bürgerliche politische Philosophie, die nicht im träumerischen
Überschwang die politische Ordnung der Zeit überfliegt, sondern humanistische
Gelehrte dazu anhält, Fürsten zu Reformen zu bewegen. Dagegen hält Raphael
Hythlodaeus die Gesellschaft Englands für so verderbt, dass der Philosophie
nirgends Gehör geschenkt würde. Die Ursache für politische Unordnung, Kriminalität
und soziale Missstände liegt bei den Menschen selbst und ist ökonomischer
Natur. Es ist der Verlust der traditionellen Agrarstruktur. Das Land, das
die Menschen ernähren sollte, nährt Schafe, deren Wolle Gewinn verspricht.
Im Gegensatz dazu schildert Hythlodaeus im zweiten Buch die intakte Sozialordnung
der Insel Utopia, die er auf einer Reise entdeckt haben will. Die Gesellschaft
Utopias bietet ihren Bürgern ein abwechslungsreiches Leben zwischen Stadt
und Land. Sie gewährt ihnen Glück, Wohlstand, leichtes Arbeiten sowie die
Gelegenheit zu kultureller Bildung und lässt sie auf privates Eigentum
und familiäre Privatheit leichten Herzens verzichten. Für die noch immer
nötige Kriegführung bedienen sich die Utopier zumeist eines rohen, doch
käuflichen Bergvolkes, der Zapoleten. Zwar hat sich die christliche Religion
noch nicht auf der Insel verbreitet, aber ihre Bewohner verfügen über einen
adäquaten Ersatz in einer natürlichen deistischen Religion, die ihr sittliches
Gewissen trägt. Doch Utopia heißt Nicht-Ort, Nirgendwo-Land, ihr Hauptort,
Amaurotum (= Nebelstadt) liegt am >>Fluss ohne Wasser<< und der Name des
Reisenden, Hythlodaeus, lässt sich mit Schwätzer übersetzen. Morus macht
deutlich, wo er träumt. Sein Utopia enthält mithin beides: den idealistischen
Glutkern revolutionärer Weltverbesserung wie den konservativen Geist politischer
Reform.