Im Fokus der Untersuchung zu Werk und Poetik von Max Frisch stehen Texte, die in Kritik und Forschung vornehmlich als "subjektivistisch" bewertet werden: Bin oder Die Reise nach Peking, Montauk, Mein Name sei Gantenbein und Biografie. Ein Spiel. Auf einer werkgeschichtlichen Diachronieachse markieren die ersten beiden den Anfangs- und den Endpunkt der Erkundung der Möglichkeiten literarischen Erzählens zwischen Fiktion und Fakten, Frühwerk und Spätwerk, während die letzteren auf einer Synchronieebene für den Höhepunkt der Erforschung der Grenzen fiktionalen Schreibens in den Gattungen Drama und Roman in den 60er Jahren stehen. Der Analyse liegt die Relation Ich der Geschichten - Raum der Möglichkeiten zugrunde. Die Begriffe tragen der von Max Frisch postulierten relationalen Grundkonstante seines Werks Rechnung: "Das Ich und die Anderen". Die vorgenommene Dezentrierung des Subjekts hat einen Forschungsansatz zur Folge, der die Legitimität der Opposition Subjektivismus - Objektivismus im Hinblick auf das Konzept einer "Literatur vom Ich aus" hinterfragt. Frischs Realismusbegriff fordert die Darstellung des Raums aus der Perspektive eines erlebenden und sein Erlebnismuster sowie seine Position reflektierenden Ich. Sowohl das Ich als auch der Raum treten als relational aufeinander bezogene Größen zutage, die ohne Rekurs auf die jeweils andere nicht erfahrbar sind. Der Raum offenbart sich dem fiktionalen Ich in Form eines Beziehungsnetzes. Je fortgeschrittener dessen Verdichtung, umso schärfer zeichnet sich das Segment im Raum ab, das dem Ich zur Disposition steht. Die Lücke im mit Nicht-Ich-Figuren gefüllten Raum "verrät" die Existenz eines Ich, das diese Lücke schließt und zugleich ein auf dieses Ich bezogenes Verhalten der "Anderen" bedingt. Der Prozess der Erkundung des Raums erweist sich als Kehrseite eines Selbsterkundungsprozesses des Ich. Die Erschließung des Raumes durch das Ich erfolgt über die Erfindung von Geschichten. Die Figuren werden nicht "dargestellt", sondern in der Summe ihrer Geschichten gespiegelt. Jede Geschichte stellt nur ein partielles Stück der Wahrheit des Ich dar. Der Raum der Möglichkeiten eines Ich offenbart sich als Summe seiner möglichen, vorstellbaren Geschichten, wobei sowohl die Geschichte als Historie als auch die Geschichte als Biographie ihre Sonderstellung als Wahrheitsinstanzen gegenüber der fiktionalen Geschichte verlieren. Mit ihren fiktionalen Möglichkeitsräumen bietet die Literatur dem Ich die Chance, in einem Raum mit Regeln, die mehr gestatten als die Realität, Geschichten zu erproben, eine spielbare Welt zu erleben, seine Freiheiten und Grenzen zu erkunden.