Nach diversen erfolglosen künstlichen Befruchtungen wird die 41-jährige Erzählerin endlich schwanger. Sie fühlt sich wie Frankensteins Monster, das sich plötzlich in einen echten Menschen verwandelt hat - bis der 3D-Ultraschall im ersten Trimester zeigt, dass der Fötus keinen Schädelknochen hat. Akranie, Anencephalie. Die Überlebenschancen sind minimal. Die Schwangerschaft wird in der 15. Woche abgebrochen.
Der Roman umspannt, mit Ausnahme von zwei längeren Rückblenden, einen Zeitraum von zwei Monaten. Von der Diagnose bis zu dem Moment, in dem sie erfährt, dass das winzige Wesen, ihre Tochter, zusammen mit medizinischem Abfall verbrannt wurde.
"Kind aus Glas" ist jedoch viel mehr, als die Schilderung einer traumatischen Erfahrung, auch wenn es in gewisser Hinsicht ein therapeutisches Buch ist. Kangro erweist sich in ihrem Roman als höchst intelligente Autorin, die es versteht, Kunst, Literatur, Politik und Philosophie in das Erleben eines erschütternden Verlustes einfliessen zu lassen. Sie setzt sich mit grundlegenden ethischen Fragen der Existenz auseinander. Sie schreibt aus ihrem Leben als erfolgreiche Autorin und alleinstehende Frau, die sich ein Kind wünscht. Sie reist in die Post-Maidan-Ukraine, als Writer in Residence nach Italien, an ein Lyrikfestival nach Nicaragua - immer in intensivem Kontakt mit sich und der Aussenwelt. Sie wiedersetzt sich konsequent, fast trotzig, den Erwartungen und Regeln einer beschönigenden Gesellschaft.
"Kind aus Glas" ist ein schonungsloser Bericht über den Verlust eines ungeborenen, lang erwarteten Kindes, vor dem Hintergrund der politischen Unruhen in der Ukraine und öffentlicher Debatten in Estland. Maarja Kangro geht die Themen Tod, Trauma, Leiden und das "bittere" Erlebnis der Demut vor der Existenz mit düsterem, sarkastischem Humor an. Gleichzeitig legt sie sensibel und mit fast chirurgischer Präzision die innere Not frei.