Bei Nietzsches Texten handelt es sich häufig um Reaktionen auf seine breitgestreuten Lektüren. Sein Lesen ist zugleich ein Schreiben, und es verläuft ebenso selektiv und assoziativ wie aneignend: So werden unter Nietzsches Hand etwa Lesefrüchte aus naturwissenschaftlichen Lexika ästhetischen Überlegungen einverleibt oder ethno-anthropologische Fachbücher im Kontext philosophiegeschichtlicher Einordnungsversuche zitiert. Die Interpretation von Nietzsches Schriften ist daher stets auf eine philologisch-differenzierte Quellenarbeit angewiesen, die zugleich auch philosophisch-hermeneutischen Ansprüchen genügt. Nur so findet die spezifische Gemengelage aus Eigenem und Fremdem in Nietzsches Texten ebenso adäquate Berücksichtigung wie die Vielzahl der handschriftlichen Lesespuren in den bis heute erhaltenen Büchern aus seiner persönlichen Bibliothek. In einer Reihe von Überblicksdarstellungen und exemplarischen Fallstudien unternimmt es der Band, Nietzsche im Spiegel seiner Lektüren als äußerst produktiven wie kreativen Leser zu charakterisieren, dessen Voraussetzungsreichtum nicht überschätzt werden kann.
H. Anschütz, Freiburg; A. Müller, Heidelberger Akademie der Wissenschaften; M. Rottmann, Halle-Wittenberg; Y. Souladié, Paris.