Magisterarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Russistik / Slavistik, Note: 1,3, Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Slawistik), 77 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Im Zuge der vielfältigen Globalisierungsdiskurse der 90er Jahre ist die Kategorie des Raumes auch in den Literaturwissenschaften wieder in den Blickpunkt des Interesses gerückt. Die seit Lessing postulierte These von der Literatur als zeitlicher Kunstform musste angesichts der immer zahlreicher erscheinenden Erzählwerke, die einen starken räumlichen Bezug aufweisen, allmählich redigiert werden. V.a. unter ostmitteleuropäischen Schriftstellern und Intellektuellen wurde nach dem Fall des Eisernen Vorhangs die eng mit der eigenen Biografie verknüpfte Geografie zum Gegenstand verschiedener Prosawerke. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich unter diesem Aspekt mit dem Werk des polnischen Schriftstellers Andrzej Stasiuk, der in seinen 2004 erschienenen Reisefragmenten mit dem Titel Jadac do Babadag (Unterwegs nach Babadag) nicht nur strukturell die Tendenzen der modernen polnischen Prosa aufgegriffen hat, sondern im Sinne des so genannten Topographical Turn den Raum selbst zum Erzählobjekt stilisiert. Die Einheit des durch Mental Mapping erschlossenen Raumes wird durch den Erzähler narrativ konstruiert. Dies geschieht durch den Verweis auf mentale, kulturelle, geografische und historische Gemeinsamkeiten, die sich in der Raumkonzeption des Werkes zu einem symbolisch-erlebbaren, geografisch motivierten Geflecht verdichten, das verschiedene Äquivalenzen zu dem durch Ernst Cassirer beschriebenen mythischen Raum aufweist. Die in der literaturwissenschaftlichen Forschung häufig evozierte Trennung zwischen bedeutungslosem faktischem Lokal und bedeutungstragendem Raum ist für Jadac do Babadag nicht zu vollziehen. Die Geografie dient vielmehr als Nahtpunkt zwischen faktischer Welt, Fiktion, Erinnerung und Traum. Die mimetische Intention besteht nicht in der Nachahmung einer zusammenhängenden Wirklichkeit, deren Existenz durch den Erzähler verneint wird, sondern in der literarischen Verarbeitung verschiedener anthropologischer Wahrnehmungsstrategien, die allesamt Varianten einer als kontingent verstandenen Wirklichkeit aufzeigen. Die Auseinandersetzung mit dem mitteleuropäischen Raumkonzept Stasiuks bietet somit nicht nur eine Gelegenheit, über die tatsächliche Relevanz narrativer, struktureller Dichotomien nachzudenken, sondern eignet sich zudem dazu, das Spektrum menschlicher Weltwahrnehmung zu vertiefen und nicht mehr länger auf den einschneisigen Kategorien von Fakt und Fiktion zu beharren.