Conrad verarbeitet in diesem grandiosen kleinen Roman sein eigenes
Kongo-Abenteuer, von dem ihm eine zeitlebens zerrüttete Gesundheit
und alptraumhafte Erinnerungen geblieben waren. Der Erzähler
Marlow geißelt in der Figur des pervertierten Handelsagenten
Kurtz den europäischen Kolonialismus, aber dem Autor geht
es um mehr: die Fahrt in den urweltlichen Dschungel wird zur Entdeckungsreise
ins Ungewisse der eigenen Existenz, in die Untiefen des Halb-
und Unterbewußtseins , ins finstere Labyrinth von Lüge
und Schuld.
Der Flussdampferkapitän Marlow fährt im Auftrag einer belgischen Handelsgesellschaft
den Kongo hinauf. In den auf seinem Weg liegenden Handelsposten, von der
Gesellschaft gedacht als >>Leuchtfeuer auf der Straße zum Besseren<<, erlebt
er sinnloses Durcheinander sowie die brutale Ausbeutung und Misshandlung
der Schwarzen. Auf einer dieser Stationen hört er zum ersten Mal von Kurtz,
einem angeblich besonders erfolgreichen Elfenbeinagenten tief im Inneren
des Kongo. Die Reise zu Kurtz wird für Marlow mehr und mehr zu einer Reise
in sein eigenes unbewusstes Inneres. Der Fluss, von Anfang an diabolisch
und unheimlich >>wie eine Schlange<<, führt immer weiter fort vom Licht
der Zivilisation in die Dunkelheit der Wildnis, in das >>Herz der Finsternis<<
und zum Zentrum des Bösen, in dem der ominöse Kurtz sein Reich hat. Er
beutet sein Gebiet skrupellos aus, schreckt weder vor Raub noch vor Mord
zurück und folgt in wilden Ausschweifungen seinen niederen Instinkten,
völlig vom >>schweren, stummen Bann der Wildnis<< gefangen. Marlow beschließt,
den offensichtlich Kranken mit sich zurückzunehmen, denn >>seine Seele
war wahnsinnig<<. Auf der Rückreise flussabwärts stirbt Kurtz mit dem Ausruf
>>Das Grauen! Das Grauen!<<, der zugleich als Bekenntnis seiner Schuld
und Absage an die Mächte der Finsternis interpretiert werden kann. Kapitän
Marlow bringt es nach seiner Rückkehr nach Brüssel nicht über sich, Kurtz'
trauernder Verlobter die Wahrheit über dessen Leben im Kongo und seine
letzten Worte zu sagen: >>Ich riß mich zusammen und sprach langsam. >Das
letzte Wort, das er aussprach, war - Ihr Name.<<<